Predigt am 4. November 2017 zur Eröffnung des XVI. Festivals sakraler Musik und Kunst in Rom-St. Peter
Dieses Jahr begehen wir den hundertsten Jahrestag der Erscheinungen der Gottesmutter in Fatima: Erscheinungen, die den gesamten historischen Verlauf dieser Jahre gekennzeichnet und erhellt haben. Und in besonderer Weise haben sie den dramatischen Anschlag auf Papst Johannes Paul II. auf dem Petersplatz erleuchtet. Es war der 13. Mai 1981, an dem eine „mütterliche Hand“ den Papst an der Schwelle des Todes aufhielt. Es erschien uns angemessen und geboten, das Festival diesem Anlass zu widmen.
Was hat sich vor hundert Jahren in Fatima ereignet?
Am 13. Mai 1917 gingen drei einfache und sehr arme Hirtenkinder aus Aljustrel, einer kleinen Ortschaft in der Umgebung von Fatima, hinaus, um die Herden ihrer Familien auf die Wiese zu treiben. Sie sind Analphabeten, weil sich die Eltern den Luxus eines Schulbesuchs nicht leisten können: die Familie benötigt ihre Arbeit!
Wer sind diese Kinder? Lucia, die größte, war das letzte der sieben Kinder, die der Herr den Eltern Antonio Santos und Maria geschenkt hat: Zurzeit der Erscheinungen war Lucia 10 Jahre alt. Francesco und Giacinta, Cousins von Lucia, waren Kinder von Manuel Pedro Marto und Olimpia de Jesus dos Santos: sie waren das achte und neunte Kind. Zurzeit der Erscheinungen waren Francesco neun und Giacinta sieben Jahre alt.
Der 13. Mai 1917 war ein Sonntag und die Kinder haben schnell noch an der heiligen Messe teilgenommen, weil ihre Familien trotz ihrer schweren Arbeit auf den Feldern nie die heilige Messe versäumt haben. Olimpi Marto, Mutter von Giacinta und Francesco, bekannte eines Tages: „Behüte uns Gott davor, einen Sonntag ohne Messe vergehen zu lassen! Ich erinnere mich nicht, je an einer Sonntagsmesse gefehlt zu haben, auch nicht mit den kleinen Kindern!“ So waren die Familien der Hirtenkinder von Fatima!
Aber folgen wir den Kindern in der Entwicklung dieses denkwürdigen Tages. Als sie in der Ferne die Glocke am Mittag läuten hörten, aßen die Kinder, was sie mitgebracht hatten und beteten dann zusammen den heiligen Rosenkranz. Sie hatten wieder zu spielen begonnen, als sie unvermittelt ein Licht sahen. In der Befürchtung, dass sich ein Gewitter nähert, begannen sie ihre Schafe zu rufen. Ein zweites, intensiveres Licht, hält sie an. Sie wenden sich nach rechts und erblicken auf der Spitze einer niedrigen Steineiche eine weiße Frau:
„Es war eine weiß gekleidete Frau“ – so beschreibt es Lucia – „strahlender als die Sonne, aber sie blendete uns nicht!“
Überrascht von der Erscheinung starren die Kinder auf die Frau, die sie mit sanfter und mütterlicher Stimme beruhigt: „Habt keine Angst, ich will Euch nichts Böses tun!“
Lucia fasst Mut und fragt sie: „Woher kommt Ihr?“
Die lächelnde Frau antwortet: „Ich komme aus dem Himmel.“
„Und was wollt Ihr?“ fragt Lucia.
„Ich bin gekommen, euch zu fragen, ob ihr in sieben Monaten am 13. Tag wieder hierher kommt, zur selben Stunde. Dann werde ich Euch sagen, wer ich bin und was ich will.“
Ermutigt fragt Lucia: „Und werde ich in den Himmel gehen?“
„Ja, du wirst gehen!“
„Und Giacita?“
„Auch sie!“
„Und Francesco?“
„Auch er wird in den Himmel gehen, aber zuvor wird er viele Rosenkränze beten müssen!“
Die weiße Frau endet: „Ihr werdet viel erleiden müssen, aber die Gnade Gottes wird euer Trost sein!“
Was ist der Sinn der mütterlichen Rufe Mariens? In den überlieferten Nachrichten an die Kinder von Fatima 1917, die in ihrer Gesamtheit im Jahr 2000 veröffentlicht wurden, ist verständlicherweise eine Besorgnis und ein bekümmerter Verweis zu verspüren, das Evangelium Jesu ernst zu nehmen. Die Worte der Madonna weisen immer in diese Richtung.
In Fatima wird uns die Madonna zuerst an die Wahrheit des Lebens über dieses Leben hinaus erinnern: Das Jenseits existiert!
Warum dieser nachdrückliche Verweis der Madonna? Das 20. Jahrhundert ist ein Jahrhundert, in welches sich der Materialismus des 19. Jahrhunderts wie ein schlammiger Fluss ergießt und den Materialismus der Massen hervorgebracht hat, der als Lebensstil „Konsumdenken“ genannt wird: nämlich diese nervöse Genusssucht (bis zum dauernden Raub der nächtlichen Stunden) und diese Eile, Vergnügungen zu konsumieren … weil alles hier unten endet!
Die Behauptung von Jean-Paul Sartre: „Der Mensch ist eine unnütze Leidenschaft“1; die Herausforderung von Albert Camus: „Die rationalste Hypothese ist der Suizid“2; die kühle Erklärung von Richard Dawkins: „In einem Universum der Elektronen existiert kein Sinn“3; und die trostlose Folgerung von Jean Rostand: „[Der Mensch ist] ein lächerliches Atom, verloren im trägen und grenzenlosen Kosmos“4, sind Resultat des Verlustes des Lebenszieles: Paradoxerweise ist die menschliche Intelligenz in dem Moment ins Leere gestürzt, in dem sie gemutmaßt hat, alles Gott Ausschließende zu verstehen: das bedeutet das Ende jedweden Abenteuers des Stolzes!
Martin Heidegger hatte Recht, als er ausrief: „Keine Epoche, am wenigsten die unsere, hat verstanden, was Menschsein bedeutet!“
Die Madonna hat uns in diesem Zusammenhang der Trübung der menschlichen Intelligenz die klare Wahrheit des Evangeliums wieder vorgetragen, die lautet: „Sammelt euch nicht Schätze hier auf der Erde, wo Motte und Wurm sie zerstören und wo Diebe einbrechen und sie stehlen, sondern sammelt euch Schätze im Himmel“ (Mt 6,19-20).
„Denn es wird geschehen, dass der Menschensohn kommt in der Herrlichkeit seines Vaters mit seinen Engeln, und dann wird er einem jeden vergelten nach seinem Tun“ (Mt 16,27).
Der erste Ruf von Fatima ist dieser: „Das Paradies existiert, das Paradies ist das Fest des Lebens, das bessere muß nun kommen! Wenn man diese wunderbare Wahrheit vergisst, verliert das menschliche Leben jede Bedeutung.“
Die Madonna hat uns an die Wahrheit der Existenz der Hölle erinnert. Das heißt: die menschliche Freiheit kann Gott ablehnen (die Dämonen haben es bereits gemacht und sind bereits in der Hölle) und die Ablehnung Gottes bleibt nicht ohne Konsequenzen: in der Tat, Gott verweigernd schließt sich der Mensch automatisch ein in einem Gefängnis des Leidens und der Wunden, das wie ein verzehrendes Feuer brennt. Die Hölle, das sei klar, ist nicht Gottgewollt, aber es ist der Mensch, der es wollen kann. Gott will in seiner Umarmung allen das Geschenk der Güte und Glückseligkeit geben, aber er kann und will niemanden zwingen: Wenn der Mensch sich selbst endgültig von der Umarmung Gottes ausschließt, bereitet sich der Mensch selbst in diesem Moment die Hölle vermittels seiner stolzen Ablehnung.
Jesus hat klar gesprochen. Im Matthäus-Evangelium lesen wir: „Wiederum ist es mit dem Himmelreich wie mit einem Netz, das ins Meer ausgeworfen wurde und in dem sich Fische aller Art fingen. Als es voll war, zogen es die Fischer ans Ufer; sie setzten sich, sammelten die guten Fische in Körbe, die schlechten aber warfen sie weg. So wird es auch am Ende der Welt sein: Die Engel werden kommen und die Bösen aus der Mitte der Gerechten aussondern und sie in den Feuerofen werfen. Dort wird Heulen und Zähneknirschen sein“ (Mt 13, 47-50).
Die Nachricht Jesu ist klar und die Madonna hat an sie erinnert. Zusammen mit der Wahrheit der Existenz der Hölle hat die Madonna uns an den Ernst der Sünde und an die tragischen Folgen erinnert, die diese auch innerhalb der Menschheitsgeschichte erzeugen. Kriege, Hungersnöte, jedwede Art von Gewalt und Verfolgungen sind die Folgen einer durch Menschen(werk) betriebenen Aggression mittels der Sünde gegenüber der wunderbaren und empfindlichen Ordnung der Schöpfung.
Es war 1917 und die Madonna sagte: „Der Krieg wird bald zu Ende gehen, aber wenn die Menschen sich nicht wandeln und nicht aufhören Gott anzugreifen, wird unter dem Pontifikat von Pius XI. ein anderer Krieg ausbrechen, schlimmer als dieser und mit noch dramatischeren Auswirkungen.“ Und dies geschah.
Warum verbindet die Madonna den Krieg mit den Sünden der Menschen? Die Sünden sind wie explosiver Stoff, der sich ansammelt und sich in Hass entlädt, welcher die Folge einer Verweigerung Gottes ist.
Die Bibel verkündet diese Weisheit auf jeder Seite. Der Prophet Jesaia sagt zu seinen Zeitgenossen: „Weil ihr dieses Wort verworfen und auf Verkehrtheit und Falschheit vertraut und euch darauf gestützt habt, so soll euch diese Schuld sein wie ein Riss, der aufbricht und klafft an einer hohen Mauer, die plötzlich, unversehens einstürzt“ (Is 30,12-13).
Und Jeremias, der vor dem traurigen Schauspiel der Zerstörung Jerusalems und der Deportation des Volkes in die Sklaverei ausrief: „Deine Bosheit bringt dich ins Unglück, dein treuloses Treiben führt die Strafe herbei“ (Jer 2,19). Und er fügt hinzu: „Eure Frevel haben diese Ordnung gestört, eure Sünden haben das Gute von euch ferngehalten“ (Jer 5,25).
In Fatima hat euch die Madonna auch daran erinnert, dass die Treue gegenüber dem Evangelium mit Blut bezahlt wird und so geschieht es auch heute: aber wir dürfen keine Angst haben, dem Evangelium treu zu sein, weil das Gute bereits in Jesus gewonnen hat. Tatsächlich schließt die Madonna ihre Nachricht mit den Worten: „Am Ende wird mein unbeflecktes Herz triumphieren.“
Kardinal Ratzinger hat es im Jahr 2000 wunderbar kommentiert: „Die Muttergottes hat uns erinnert, dass das für Gott geöffnete Herz viel stärker ist als Gewehre und Waffen aller Art.“5
Die Bosheit der Menschen ist bereits Jesus zugefügt worden und wir erwarten ruhig das Ende der Geschichte, in welcher Gott das abschließende und endgültige Wort über alles und alle sagen wird.
Die Madonna hat uns in Fatima mit mütterlichem Feingefühl und Wahrhaftigkeit an diese fundamentalen Wahrheiten erinnert. Wir danken ihr. Und die schöne Musik, die wir in den Tagen der Festspiele hören, öffnet uns das Herz für die Schönheit des Guten und die Harmonie der Nächstenliebe, welcher die Welt heute sehr bedarf.
Beginnen wir zuerst in der Treue zum Willen Gottes zu leben, die Quelle des Friedens in uns und um uns ist.6
1 „L’homme est une passione inutile.“
2 „On se suicide rarement (l’hypothese n’est cependant pas exclue) par reflexion.“
3 „In a universe of electrons and selfish genes, blind physical forces and genetic replication, some people are going to get hurt, other people are going to get lucky, and you won’t find any rhyme or reason in it, (nor any justice).“
4 „A ridiculous atom, lost in an inert and immeasurable cosmos, man (…).“
5 Originalzitat: „Das für Gott geöffnete, durch das Hinschauen auf Gott rein gewordene Herz ist stärker als Gewehre und Waffen aller Art.“ Joseph Kardinal Ratzinger in Rom am 26. Juni 2000, zit. nach Schweizer Fatima-Bote, 5/1 (2004), S. 47.
6 Die Redaktion dankt unserem Leser Hochw. Herrn Domkapitular Prälat Dr. Christoph Kühn für die freundliche Bereitstellung der Predigt und Frau Edith Heindl MA für die Übersetzung aus dem Italienischen.