Jan 2019

Niedrigkeit und Herrlichkeit: geheimnisvoll verwoben

Hilfreiche Aussagen von Bischof Dr. Rudolf Graber über die Marienverehrung

Was die Marienverehrung betrifft, so stehen sich zwei Richtungen gegenüber: Die eine huldigt dem Grundsatz „Über Maria niemals genug“ („De Maria numquam satis“; dem hl. Bernhard von Clairvaux zugeschrieben). Die andere Richtung macht sich den Grundsatz zu eigen: „Nur ja nicht zu viel von Maria“ („Ne quid nimis de Maria“). Bereits 1949 hat ein Theologe diese Zwiespältigkeit so beschrieben: „Vielen Seelsorgern erscheint eine betont marianische Frömmigkeit als peinlicher Aufenthalt an der Peripherie, als subjektive Liebhaberei auf Kosten der objektiven Heilsordnung, als unnütze Störung der heute so notwendigen Christozentrik im Glauben und im Leben. … Die ,Wesentlichen‘ sehen es als viel vordringlicher an, heute die zentralen Gottes-, Christus- und Kirchengeheimnisse zu verkünden. Sie erblicken im Mariologischen nur frommen Zierrat.“1 Die Gegenseite erblickt in einer solchen Einstellung einen gefährlichen Rationalismus. Angesichts dieser Sachlage wäre es – so Rudolf Graber, der spätere Bischof von Regensburg (1962- 1982), der 1966 das „Institutum Marianum Regensburg“ gegründet hat, in einem Vortrag im Marianischen Jahr 1954 – ein großer Gewinn dieses Marianischen Jahres, „wenn sich diese beiden Strömungen im deutschen Katholizismus zusammenfänden in der Liebe zur gemeinsamen Mutter“.2

Man kann – so Rudolf Graber (1903-1992) – zu der Ansicht gelangen, dass kühle Reserve und marianischer Überschwang nicht bloß subjektiv bedingt seien, je nachdem, ob man im Abstand zu Maria verharrt oder ein persönliches inneres Verhältnis zur Mutter des Herrn gewonnen hat, sondern dass sie letztlich auf die Offenbarung selbst zurückgehen. „Vielleicht hat man … zu wenig beachtet, dass die Aussagen der Heiligen Schrift über Maria die gleiche Polarität zum Ausdruck bringen, die das Leben Jesu bestimmt, nämlich das geheimnisvolle Verwobensein von Niedrigkeit und Herrlichkeit.“3 Heute rückt das Bestreben in den Vordergrund, all jene Aussagen der Heiligen Schrift besonders zu betonen, die Maria in ihrer Niedrigkeit zeigen.

Bei dem Vorhaben, Maria als einfache Frau ihres Volkes in ihrer schlichten Niedrigkeit zu zeichnen, kann man sich auf einen Ausspruch der heiligen Theresia von Lisieux berufen: „Man stellt uns Maria oft als unerreichbar vor, und man sollte sie doch vielmehr zeigen, wie wir ihr nachfolgen und sie nachahmen können. Sie ist weit mehr Mutter als Königin.“4 Dies lässt sich durchaus vertreten, wenn „sofort hinzugefügt wird, dass diese einfache, bescheidene Frau die Mutter des Sohnes Gottes ist.“5 Die katholische Marienverehrung muss sich an den beiden Aussagereihen der Heiligen Schrift orientieren, die im Magnifikat zusammengefasst sind: Gott hat auf die Niedrigkeit seiner Magd geschaut, an der er Großes getan hat.

Der erste Grundsatz der marianischen Predigt lautet also: Wir dürfen von Maria – so Rudolf Graber im Marianischen Jahr 1954 – kein „Teilbild“ entwerfen, sondern müssen von ihr in ihrer „geoffenbarten Ganzheit“ sprechen. Marias einzigartige Stellung im Heilsplan Gottes – ihre Würde als Gottesmutter – bildet den „Ausgangspunkt der ganzen Mariologie und der marianischen Lehrverkündigung“.6 Im Geheimnis der Menschwerdung liegt auch die Lösung aller angedeuteten Schwierigkeiten auf mariologischem Gebiet. Christus, der in der Menschwerdung „ganz der Unsrige geworden“ ist, vertritt uns beim Vater; andererseits steht er als Gott, als Erlöser und Richter „uns gegenüber“.7 Ähnliches ist von Maria zu sagen: Sie gehört ganz zur Kirche, aber aufgrund ihrer Gottesmutterschaft und ihrer anderen Privilegien ist sie der Kirche auch „übergeordnet“. In Bezug auf die Polarität von Niedrigkeit und Herrlichkeit ist Christus das „Urbild“ für Maria. Rudolf Graber verweist auf den „Gleichklang“ der Worte über Christus im Philipperhymnus (Phil 2,5-11; Vers 7: „… er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich“) und über Maria im Magnifikat (Lk 1,46-55; in Vers 48 steht das Wort „Niedrigkeit“). An beiden Schriftstellen finden wir im Griechischen dasselbe Wort. Das Geheimnis Marias ist ganz vom Geheimnis Christi her zu verstehen.

Die Heilige Schrift schildert die Knechtsgestalt Christi. Aber diese Knechtsgestalt des Sohnes Gottes darf „nicht mit einem reinen Menschentum des Herrn gleichgesetzt“ werden. Die Knechtsgestalt des Herrn „verhüllt etwas“. Ähnlich ist es mit der Mutter Christi – wenngleich in gebührendem Abstand und nur im „Nachglanz“ von Christi Hoheit. Wie sich unter der Knechtsgestalt Christi „die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit“ (Joh 1,14) verbirgt, so verbirgt sich unter der Magdsgestalt Marias all das, was Gott durch Gabriel und die Kirche „an ehrenden Titeln auf sie häufte“.8 Maria muss – in der Marienpredigt – „ganz in ihre Zeit“ hineingestellt werden; „aber dies muss so geschehen, dass der Zuhörer spürt, hier ist Größeres verhüllt.“9 Der Prediger muss bei Maria „die Herrlichkeit der Mutter des Herrn zum Aufleuchten bringen“.10

Maria ist – so Rudolf Graber – „das lebendige Hin-zu-Christus“. In der Verkündigung muss zum Ausdruck kommen, dass die marianische Bewegung und die christozentrische Bewegung „im Grunde nur die eine große religiöse Aufbruchsbewegung sind, bei der Maria die Pforte ist, durch die wir zum Christus der Schrift, zum Christus der Eucharistie, zum mystischen Christus der Kirche gehen, um dann in der Katholischen Aktion das Reich Gottes auszubreiten“.11 Papst Pius XII. hat das paulinische „Auf-Christus-hin“ tief erfasst, wenn er in seinem Weltweihegebet an das Unbefleckte Herz Mariens die Bitte ausspricht, dass Marias Liebe und Schutz den Triumph des Gottesreiches beschleunigen möge. Maria gehört wesentlich zur Frohbotschaft, „genau so, wie die Morgenröte zum Sonnenaufgang gehört, indem sie ihm vorausgeht“.12

Maria gehört aber auch noch unter einem anderen Gesichtspunkt ins Evangelium und in die urchristliche Verkündigung. Das Christusereignis wird nicht nur heilsgeschichtlich vorbereitet, sondern es wirkt sich auch in der Glaubenshingabe und Lebensumkehr des Menschen aus. Christi Tod und Auferstehung haben einen neuen, erlösten Menschen geschaffen. „Dieser neue, vollerlöste Mensch ist Maria.“13 Sie erfüllt nicht nur das Auf-Christus-Hin des Völkerapostels Paulus, sondern auch den anderen paulinischen Zentralbegriff des „in Christus“. Maria ist die neue Schöpfung Gottes.

Papst Leo XIII. hat die Welt dem Herzen Jesu geweiht. Welchen Sinn hat dann – so können wir fragen – die Weltweihe an die Gottesmutter? Maria ist dabei – sagt der spätere Bischof Rudolf Graber – „eigentlich nicht das letzte Endziel unserer Weihe, sie ist gleichsam nur das Medium, durch das wir uns Christus ganz hingeben. Maria ist … die lebendige Hingabe und Beziehung zu ihrem Sohn. Wenn wir uns Maria weihen, so geben wir uns … Christus hin.“14

Ein Ausblick auf das Zweite Vatikanische Konzil

Das Zweite Vatikanische Konzil hat der Marienlehre der katholischen Kirche neue Akzente verliehen. Nach längeren Beratungen haben die Konzilsväter beschlossen, die Mariologie innerhalb der Lehre über die Kirche zu behandeln. Das Konzil hat seine wesentlichen Aussagen über die Gottesmutter im achten Kapitel der Kirchenkonstitution Lumen gentium vorgelegt.15 Papst Paul VI. (1897-1978),16 der das Zweite Vatikanische Konzil zu Ende führte, „war seit jeher durch eine starke Marienverehrung geprägt.“17 Am 13. Mai 1967 z. B. hat er – aus Anlass des 50. Jahrestags der dortigen Marienerscheinungen – eine Pilgerreise nach Fatima unternommen.18 In seiner dortigen Predigt erbat er die Fürsprache der Gottesmutter „für eine geordnete Umsetzung des Konzils, das in der Kirche so viele neue Energien geweckt habe“.19 Er deutete seine Reise „aber vor allem als Mission für den Frieden in der Welt“.20 Mit seinem Apostolischen Schreiben Marialis cultus (1974) hat er – auf der Basis der Mariologie des Zweiten Vatikanischen Konzils – wichtige theologische Grundsätze der Marienverehrung formuliert.21

1 Paul Hitz, Zur Marienpredigt heute, in: Anima 4 (1949), 211. – Vgl. zum Ganzen Rudolf Graber, Grundsätze der Marianischen Verkündigung, Leutesdorf am Rhein 1954.

2 R. Graber, Grundsätze (Anm. 1), 6.

3 Ebd., 6 f. – Vgl. auch Bertram Stubenrauch, Mariologie bei Bischof Rudolf Graber, in: Josef Kreiml / Sigmund Bonk (Hg.), 100 Jahre Botschaft von Fatima. Mitverantwortung für das Heil der anderen. Mit einem Geleitwort von Bischof Rudolf Voderholzer, Regensburg 2017, 200-206.

4 Zit. nach: Viktor Schurr, Gott will die Erde. Marienpredigten für heute, Regensburg 1951, 133.

5 R. Graber, Grundsätze (Anm. 1), 7.

6 Ebd., 8.

7 Vgl. ebd., 8 f.

8 Vgl. ebd., 12.

9 Ebd. – Vgl. auch Hubert Windisch, Das Gebet. Eine pastoraltheologische Perspektive unter besonderer Berücksichtigung des Mariengebetes, in: Josef Kreiml / Veit Neumann (Hg.), 100 Jahre Patrona Bavariae. Marienverehrung in Bayern. Mit einem Geleitwort von Bischof Rudolf Voderholzer (Regensburger Marianische Beiträge 1), Regensburg 2017, 289-303 und Ludwig Mödl, Die Marienpredigt. Homiletische Leitlinien, in: ebd., 304-318.

10 R. Graber, Grundsätze (Anm. 1), 12.

11 Ebd., 17 f.

12 Ebd., 18. – Vgl. auch Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz, Tausend Bilder. Marienverehrung, in: J. Kreiml / V. Neumann (Hg.), 100 Jahre Patrona Bavariae (Anm. 9), 134-146.

13 R. Graber, Grundsätze (Anm. 1), 20.

14 Ebd., 21.

15 Vgl. auch Rudolf Graber, Maria im Geheimnis der Kirche. Spiritueller Kommentar zum Marienkapitel der Konzilskonstitution „Lumen gentium“, Würzburg 1987.

16 Papst Paul VI. wurde am 19. Oktober 2014 selig- und am 14. Oktober 2018 heiliggesprochen. – Vgl. auch Leonardo Sapienza, Papst Paul VI. und der Glaube, Illertissen 2014; Ulrich Nersinger, Paul VI. Ein Papst im Zeichen des Widerspruchs, Aachen 2014 und Rino Fisichella, Der erste moderne Papst. Paul VI. – Wie er wirklich war, Freiburg 2015.

17 Jörg Ernesti, Paul VI. Der vergessene Papst, Freiburg 2015, 190.

18 Am selben Tag hat Papst Paul VI. das Apostolische Schreiben Signum Magnum veröffentlicht (vgl. Acta Apostolicae Sedis 59 [1967], 465-475), das für die ganze Kirche die Bedeutung der Marienverehrung unterstreicht. Bereits am 15. September 1966 hatte er seine Marienenzyklika Christi Matri veröffentlicht (vgl. AAS 58 [1966], 745-749). Zur Verehrung der Gottesmutter bei Papst Paul VI., wie sie unzähligen Ansprachen, Predigten und schriftlichen Äußerungen zu entnehmen ist, vgl. Pasquale Macchi, Paolo VI nella sua parola, Brescia 2001, 231-235.

19 J. Ernesti, Paul VI., 192.

20 Ebd. – Die verschiedenen Ansprachen Papst Pauls VI. bei dieser Reise nach Portugal sind dokumentiert in: Acta Apostolicae Sedis 59 (1967), 593-602. Nach Paul VI. sind auch die Päpste Johannes Paul II. (1982, 1991 und 2000), Benedikt XVI. (2010) sowie Franziskus (2017) als Pilger nach Fatima gereist.

21 Vgl. Papst Paul VI., Apostolisches Schreiben über die rechte Weise und Förderung der Marienverehrung „Marialis cultus“ (2. Februar 1974). Von den deutschen Bischöfen approbierte Übersetzung, hg. und übersetzt von den Liturgischen Instituten in Salzburg, Trier und Zürich, Trier 1975; auch J. Kreiml, Zentrale Aspekte der Marienverehrung. Das Apostolische Schreiben Papst Pauls VI. „Marialis cultus“ (1974), in: ders. / S. Bonk (Hg.), 100 Jahre Botschaft von Fatima (Anm. 3), 14-20.

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