Marienlieder einst und jetzt

“Segne du, Maria“

Im marianischen Jubeljahr 2017 startet im „Bote von Fatima“ eine neue Beitragsreihe: Bekannte Marienlieder der vergangenen Jahrhunderte. Mit dieser neuen Reihe wird dem Wunsch vieler Leser Rechnung getragen. Zur lebendigen Verehrung der Gottesmutter zählen neben vielen Gebeten auch zahlreiche Lieder, über deren Entstehungsgeschichte oft wenig bekannt ist und über deren Texter und Komponisten man oft auch nicht mehr weiß.

Madonna mit Kind aus der Stiftspfarrkirche Weyarn
(Foto: C. Prämaßing)

In einer kleinen oberbayerischen Dorfkirche steht ein Sarg aufgebahrt vor dem Hochaltar, auf dem das Allerheiligste ausgesetzt ist. Neben zwei Enkelinnen des hochbetagten Verstorbenen hält ein Student nächtliche Totenwache. Der schwere Kerzenduft liegt in der Luft, von draußen tönt der Lärm eines hier und da vorbeifahrenden Autos in den Kirchenraum hinein. Dann stimmen die beiden jungen Frauen ein Lied an, das zu den Lieblingsliedern der Familie des Verstorbenen zählt, deren Mitglieder allesamt große Verehrer der Gottesmutter sind:

Segne Du Maria, segne mich Dein Kind.
Dass ich hier den Frieden, dort den Himmel find!
Segne all mein Denken, segne all mein Tun,
Lass in Deinem Segen Tag und Nacht mich ruhn!

Geschrieben wurde dieses Lied, das wohl zu den volkstümlichsten Marienliedern zählt, zwar nicht im Angesicht des Todes, doch aber im Moment größter Bedrängnis der Dichterin. Am 31. Mai 1870 brachte Cordula Wöhler (1845-1916) das Gedicht zu Papier. Kurz zuvor war die im Mecklenburgischen Malchin geborene Cordula von ihren Eltern aus dem Hause geworfen worden. Dachte sie vielleicht bei der zweiten Strophe an Vater, Mutter und die Schwester?

Segne Du Maria, alle die mir lieb,
Deinen Muttersegen ihnen täglich gib!
Deine Mutterhände breit auf alle aus,
Segne alle Herzen, segne jedes Haus!

Was hatte nur zu diesem Eklat geführt? Auf Reisen nach Bayern und Tirol hatte die geborene Protestantin aus Norddeutschland den Katholischen Glauben kennen und lieben gelernt. Ein ausführlicher Briefwechsel mit Professor Alban Stolz vertiefte diese Wahrnehmung. So entschloss sie sich mit noch nicht 25 Jahren zum Katholizismus zu konvertieren: Eine Entscheidung, die für eine evangelische Pastorentochter zur damaligen Zeit zu größtem inneren Zwiespalt geführt haben muss, worauf vielleicht die weitere Strophe hinweist:

Segne Du Maria, jeden der da ringt,
Der in Angst und Schmerzen, Dir ein Ave bringt.
Reich ihm Deine Hände, dass er nicht erliegt,
Dass er mutig streite, dass er endlich siegt!

Cordula Wöhler verließ ihre Heimat, zog nach Freiburg im Breisgau und legte dort am 10. Juli 1870 vor dem Erzbistumsverweser und Weihbischof Lothar von Kübel das Glaubensbekenntnis ab. Wenige Tage später folgten Erstkommunion und Firmung. Im „Heiligen Land Tirol“ fand sie bald eine zweite Heimat, widmete sich der Dichtkunst und heiratete Joseph Anton Schmid, mit dem sie über Jahre in einem spirituell angeregten Briefwechsel die gemeinsame Seelenverwandtschaft gepflegt hatte. Ohne sich je persönlich gesehen zu haben, verlobten sich die beiden und heirateten später auch. Als Schriftstellerin von katholischer Erbauungsliteratur machte sie sich einen Namen, oft auch unter dem Pseudonym „Cordula Peregrina“.

In Schwaz in Tirol starb Cordula Schmid, geborene Wöhler, am 6. Februar 1916, ihr Ehemann sollte ihr schon am 25. Mai desselben Jahres in die Ewigkeit nachfolgen. Ihre letzte irdische Ruhestätte fanden beide in einem Grab an der Südwand der Pfarrkirche von Schwaz. In ihrem Todesjahr wurde ihr Gedicht vom Regensburger Bistumspriester, Gymnasiallehrer und Freizeitkomponisten Karl Kindsmüller (1876-1955) vertont:

Segne Du Maria, unsre letzte Stund!
Süße Trostesworte flüstre dann Dein Mund.
Deine Hand, die linde, drück’ das Aug uns zu,
Bleib im Tod und Leben unser Segen Du!

So klar und unmissverständlich Entstehungsgeschichte und Verfasserschaft zu sein scheinen – wer sich mit der Überlieferungsgeschichte des Liedes eingehend beschäftigt, dem werden sich viele Fragen auftun. So ist z. B. die genaue Anzahl der Strophen des Gedichtes von 1870 nicht bekannt, da sehr bald Strophen auftauchen, die aus Cordula Wöhlers Feder stammen könnten oder auch nicht. Da gibt es etwa eine bayerische Tradition mit vier und eine österreichische mit fünf Strophen. In der Habsburgermonarchie verbreitete sich das Lied in alle Kronlande, sogar bis ins ostpreußische Ermland, das katholisch war. Bereits im Jahre 1937 – viele Jahre vor dem Gotteslob – erschien es im reichsweit gültigen katholischen Militärgesangbuch. Nach dem Krieg findet man es vermehrt in Bayern und Österreich, aber auch die Heimatvertriebenen aus dem Osten bringen es als geistliches Liedgut aus ihrer alten Heimat mit. Trägt man nun alle in Pilgerheften, Gebetszetteln und im Internet publizierten Strophen zusammen, so kommt man auf die stattliche Anzahl von 14. Wohl aus der Zeit des Pontifikates von Papst Pius XII. (1939-1958) stammen vier Zusatzstrophen, die auch heute noch gerne bei Primizen oder Priesterjubiläen gesungen werden, deren Urheberschaft aber ungeklärt ist:

Segne Du, Maria, unsern Priesterstand,
reichen Segen gebe jeder Priesterhand.
Segne alle Priester, die auf Erden sind,
segne sie, Maria, mit dem lieben Kind.

Segne Du, Maria, jedes Priesterwort.
Dass es Segen trage in die Herzen fort.
Segne Du ihr Wirken für das Gottesreich,
Mach durch Deinen Segen all dem Heiland gleich.

Segne Du, Maria, jedes Priesterherz.
Segne seine Freuden, segne seinen Schmerz.
Segne Du sein Ringen, bis es sterbend bricht.
Stehe ihm zur Seite auf dem Weg zum Licht.

Segne du, Maria, jedes Priesterherz,
lass sie Jesus folgen treu in Freud und Schmerz.
Stärke ihren Glauben, mehr’ der Hoffnung Licht,
segne ihre Liebe, lass sie wanken nicht.

Im aktuellen Gebets- und Gesangbuch Gotteslob (2013), das von den Bischöfen Deutschlands und Österreichs und dem Bischof von Bozen-Brixen herausgegeben wird, findet sich das „Segne du, Maria“ unter Liednummer 535 erneut im Stammteil aufgenommen. In der Ausgabe von 1975 fand man es nur in den Diözesananhängen von Fulda, Linz, Regensburg, Salzburg, Wien und Würzburg. Eine Umfrage des Liturgischen Instituts Trier im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz aus dem Jahre 2003 ergab, dass „Segne du, Maria“ das meistgewünschte und das im bisherigen Gotteslob am meisten vermisste Lied sei. Es mag wohl nicht verwundern, dass der Verstorbene aus der oberbayerischen Dorfkirche zu Lebzeiten dieses Lied in seiner Familie zahlreiche Male sang, lebte er doch über 50 Jahre seines Lebens in Bayern und verstarb dort 2011 im stolzen Alter von 98 Jahren, der Europaparlamentarier Erzherzog Otto von Österreich – Dr. Otto von Habsburg.

Print Friendly, PDF & Email