Tirschenr

„Maria – Mutter der Kirche“

Predigt zur 375. Monatswallfahrt in der Tirschenreuther Stadtpfarrkirche Mariä Himmelfahrt am 13. Juli 2018

Bei der Eucharistiefeier zum Abschluss der dritten Sitzungsperiode des Zweiten Vatikanums hat Papst Paul VI. am 21. November 1964 die Gottesmutter zur „Mutter der Kirche, zur Mutter des ganzen christlichen Volkes“ erklärt. Er hat bestimmt, dass „mit diesem überaus schönen Namen“ das ganze christliche Volk nun der Mutter Christi „noch mehr Ehre erweise“. Für die marianischen Feiern im Heiligen Jahr 1975 wurde das Messformular „Maria, Urbild und Mutter der Kirche“ erstellt und in das Messbuch aufgenommen. Diese Heilige Messe preist Gott, den Vater, der in seiner „unermesslichen Güte“ der Kirche die Mutter Christi geschenkt hat als „Urbild aller Tugenden“. Während die Kirche in der seligsten Jungfrau schon zur Vollendung gelangt ist, bemühen wir uns noch, die Sünde zu besiegen und in der Heiligkeit zu wachsen. Wir sollen unsere Augen auf Maria richten, die der Gemeinschaft der Auserwählten voranleuchtet: als Urbild der Tugend, als Urbild der innigen Liebe, als Urbild des Glaubens und der Hoffnung, als Urbild der größten Demut, als Urbild des ausdauernden und einmütigen Gebetes und als Urbild der Anbetung im Geist. In Maria bewundert und preist die Kirche „die erhabenste Frucht der Erlösung“. In ihr betrachtet die Kirche – wie in einem reinen Bild – mit Freude, was sie selbst ganz zu sein wünscht und hofft.

Die selige Jungfrau ist der „ungetrübte Spiegel der Kraft Gottes“. Sie zeigt uns das ungetrübte Bild der vollkommenen Jüngerin, der treuen Jungfrau und Braut, der sorgenden Mutter und der mit Herrlichkeit gekrönten Königin. Maria ist Jüngerin, die vollkommen ist in der Nachfolge Christi. Die Liturgie feiert sie als gläubige Jungfrau: Ihr will die Kirche allzeit gleichförmig sein, denn auch die Kirche ist Jungfrau, da sie das Treuewort, das sie dem Bräutigam gegeben hat, unversehrt und rein bewahrt (Lumen gentium, 64). Maria ist Braut Christi, die ihrem Sohn durch das unauflösliche Band der Liebe verbunden und im Leiden mit ihm vertraut ist. Maria ist die Mutter, fruchtbar durch die Kraft des Heiligen Geistes und besorgt um das Heil der Menschen. Die Kirche wird, indem sie die Liebe Marias nachahmt und den Willen des himmlischen Vaters treu erfüllt, durch die gläubige Annahme des Wortes Gottes auch selbst Mutter: Durch Predigt und Taufe gebiert sie die vom Heiligen Geist empfangenen und aus Gott geborenen Kinder zum neuen und unsterblichen Leben. Maria ist die Königin im reichen Schmuck ihrer Tugenden, die auf ewig Anteil hat an der Herrlichkeit des Herrn. In Maria schaut die Kirche „das reine Bild“ ihrer eigenen „künftigen Herrlichkeit“.

Schon immer hat das christliche Volk Maria als Mutter und Fürsprecherin verehrt. An vielen Wallfahrtsorten wird das überdeutlich. Die zahlreichen Einträge in Pilgerbüchern und die große Anzahl von Votivbildern zeugen vom Glauben der Menschen, von ihrer Liebe zur Gottesmutter und ihren Hoffnungen. Sorgen, Ängste, Freude und Dank werden darin ausgesprochen. Vor einigen Wochen habe ich die Wallfahrtskirche Mariä Himmelfahrt in Frauenzell, etwa 25 km nordöstlich von Regensburg, besucht. Unzählige Zeilen stehen im Pilgerbuch dieser Wallfahrtskirche, z. B. folgende Bitten an die Gottesmutter: „Gesundheit für meine ganze Familie“. „Bitte hilf mir, alles Alte zu vergessen und noch einmal neu anzufangen!“ „Dass ich wieder neue Kraft schöpfe.“ Dem unscheinbaren Buch vertrauen Pilgerinnen und Pilger aus verschiedenen Ländern ihre Bitten und Anliegen an.

Die ehemalige Benediktinerabteikirche Frauenzell ist allein schon in ihrer Architektur eine einzige Huldigung an die Gottesmutter. In meisterhaften Kompositionen verherrlichen die Deckenfresken von Otto Gebhard die Patronin der Kirche. Das große Deckengemälde zeigt die Himmelfahrt Mariens unter dem Jubel der Erde und des Himmels. Die Weissagung aus dem Magnifikat ist auf dem Spruchband angebracht: „Beatam me dicent omnes generationes“. („Von nun an preisen mich selig alle Geschlechter“). In prächtigen Farben huldigen die damals bekannten Erdteile Europa, Asien, Afrika und Amerika der Himmelskönigin. Der „glorreichen Herrin des Klosters“ sind auch die Nebenfresken über den Altarnischen gewidmet. Sie zeigen Marias Geburt und Tempelgang, preisen sie als Botin des Friedens, Zuflucht der Sünder und Hilfe der Christen.

Das ist Maria in der Tat bis heute, wie ein Blick in das Pilgerbuch beweist. „Heilige Maria, steh mir bei“, bittet ein Besucher. „Lass uns wieder zueinander finden“, schreibt ein anderer. Pilger aus Rosenheim, Nürnberg, Berchtesgaden, Klagenfurt und Danzig, aus der Hallertau und dem Allgäu genauso wie aus Südtirol haben in dem Buch ihre Bitten niedergeschrieben. Menschen aus Chile und den USA, aus England und Finnland haben Einträge verfasst. Spanisch und Tschechisch wechseln sich mit Latein ab – sogar Stenografie kommt vor. Viele Einträge loben die Schönheit der Kirche. „Liebe Gottesmutter, du hast wirklich ein schönes Heim“, freut sich eine Frau aus dem Schwarzwald. „Die Kirche ist die schönste, die wir im Leben gesehen haben“, schreiben Larissa und Vanessa.

Zentraler Blickpunkt im lichtdurchfluteten Gotteshaus ist das Gnadenbild in der Mitte des Hochaltars, eine Holzfigur vermutlich des beginnenden 17. Jahrhunderts, flankiert von zwei Leuchterengeln inmitten einer Woge aus Weiß und Gold. Als die Marienstatue um 1622 den Ruf der Wundertätigkeit erlangte, wurde Frauenzell in größerem Umfang Zielort für Pilger. In der Marienkapelle links vom Kircheneingang befinden sich zahlreiche Votivtafeln – teilweise mehr als 200 Jahre alt –, die von Pilgern anlässlich der Erhörung ihrer Gebete gestiftet wurden. Vergelt`s Gott, Thank you, merci – sagen Wallfahrer „für 37 Ehejahre“, „für die Bekehrung meines Mannes“, „für deine Fürsprache, liebe Gottesmutter“, „für alles, was wir haben“ und „für Veronikas Genesung“.

Wer Beweise für tiefen Glauben sucht, kann sie im Frauenzeller Pilgerbuch finden. Ergreifende Glaubenszeugnisse entdeckt man in einer bescheidenen Nische im Kirchenvorraum – bei den Opferkerzen. Hier liegt das Buch, dem die Pilger unaufhörlich ihre Gedanken anvertrauen. Diese sind oft sehr ernst: „Bitte gib mir die Kraft, alles und allen zu verzeihen, auf dass auch ich Vergebung erlange.“ – „Hilf, dass mein Leben wieder in die richtige Bahn kommt, und lass mich nicht allein sein.“ Nur jene Person, die den Eintrag geschrieben hat, und die Gottesmutter wissen, was mit Worten wie den folgenden gemeint ist: „Ich habe gebüßt“ oder „Lass das Wunder geschehen“. Nicht selten finden wir einen Hinweis auf einen großen Schmerz: „Warum schickst du mir ein solches Schicksal?“ In letzter Zeit mehren sich Eintragungen zu Flucht und Vertreibung: „Hilf allen Flüchtlingen, dass der Krieg in ihrem Land ein Ende nimmt“. Besonders nahe gehen einem oft die Einträge von Kindern: „Dass alle Menschen in Frieden leben können“, wünscht sich ein Bub. Zwischen Gebeten und Zeichnungen sind so viele Bitten notiert: Gesund werden, den richtigen Partner finden. Frieden und Gerechtigkeit und vieles mehr erhoffen die Menschen. Daneben entdeckt man manchen Denkanstoß: „Wo ist Gott? Wo ist Gott nicht?“ Kommen auch wir, liebe Schwestern und Brüder, mit einem so großen Vertrauen zu Maria, unserer Mutter und Fürsprecherin?

Maria ist inmitten der betenden Jünger im „Obergemach“. So haben wir es heute in der Lesung aus der Apostelgeschichte (Apg 1,12-14) gehört. Maria, die anderen Frauen und die Gruppe der zwölf Jünger verharrten einmütig im Gebet. Wenn wir uns heute als betende Gemeinde versammeln, dann ist die Mutter Jesu gewiss auch unter uns. Sie trägt unser Beten und Bitten zu ihrem Sohn. Auch das Evangelium von der Hochzeit zu Kana (Joh 2,1-12) bezeugt es uns eindeutig: Maria hat ein offenes Ohr, ein offenes Herz für die Sorgen der Menschen. „Sie haben keinen Wein mehr.“ Maria lässt sich anrühren von der Not der Menschen. Sie überbringt unser Bitten und Rufen an ihren Sohn. Sie weiß, er kann helfen. Maria will nur Vermittlerin sein. Und in der Tat: Ihr Bitten war nicht umsonst. Jesus Christus hat geholfen. So tat er „sein erstes Zeichen … und offenbarte seine Herrlichkeit, und seine Jünger glaubten an ihn“ (Joh 2,11). Es war damals so, und es wird auch heute so sein. Haben wir den Mut, auf die Hilfsbereitschaft der Gottesmutter unser Vertrauen zu setzen! Wir sind ihr nicht gleichgültig. Deshalb dürfen wir rufen: O Maria, hilf! Und haben wir den Mut, auf den göttlichen Sohn dieser Mutter zu hoffen! Er ist unser Retter. Er ist unser Heiland. Und noch mit vielen anderen Namen haben ihn die Gläubigen aller Jahrhunderte gerufen.

Papst Franziskus hat seine Predigt am vergangenen 1. Januar – dem Hochfest der Gottesmutter Maria – unter das Motto gestellt: „Wir sind keine Waisen, wir haben eine Mutter.“ Von ihrem Inneren her lernte Maria, den Herzschlag ihres Sohnes zu hören. Das lernte sie in ihrem ganzen Leben; sie hat das Pulsieren Gottes in der Geschichte entdeckt. Maria lernte, Mutter zu sein. Und in dieser Lehrzeit schenkte sie Jesus die schöne Erfahrung, sich als Sohn zu verstehen. Bei seiner Mutter lernte Jesus die mütterliche Zärtlichkeit Gottes kennen. In den Evangelien erscheint Maria als eine eher wortkarge Frau, ohne große Reden oder Geltungssucht, aber mit einem aufmerksamen Blick, der das Leben und die Sendung ihres Sohnes zu behüten versteht. Maria zeigt uns mit ihrer Mütterlichkeit, dass die Demut und die Zärtlichkeit nicht Tugenden der Schwachen, sondern der Starken sind.

Die Mütter sind – so Papst Franziskus – das stärkste Gegenmittel gegen unsere individualistischen und egoistischen Neigungen, gegen unsere Formen des Sich-Verschließens und der Gleichgültigkeit. Eine Gesellschaft ohne Mütter wäre nicht nur eine kalte Gesellschaft, sondern eine Gesellschaft, die ihr Herz verloren hat. Eine Gesellschaft ohne Mütter wäre eine erbarmungslose Gesellschaft, die nur noch dem Kalkül Raum lässt. Das Bestreben, der Güte Gottes im mütterlichen Antlitz Marias, im mütterlichen Antlitz der Kirche, in den Gesichtern aller Mütter zu gedenken, bewahrt uns vor der zersetzenden Krankheit der „spirituellen Verwaisung“.

Das Fest der heiligen Gottesmutter zu feiern, lässt auf unserem Gesicht wieder ein Lächeln aufleuchten, weil wir spüren, dass wir zusammengehören, und weil wir wissen, dass wir nur in einer Gemeinschaft, in einer Familie, in der Kirche das „Klima“, die „Wärme“ finden können, die uns erlaubt, menschlich zu wachsen. Die heilige Gottesmutter zu feiern, regt uns an, gemeinschaftliche Orte zu schaffen und zu pflegen, die uns das Gefühl der Zusammengehörigkeit, der Verwurzelung vermitteln. Jesus Christus hat im Moment der äußersten Hingabe seines Lebens am Kreuz nichts für sich selbst behalten wollen. Indem er sein Leben hingab, übergab er uns auch seine Mutter. Er sagte zu Maria: „Siehe, dein Sohn, siehe, deine Kinder!“ Wir wollen die Mutter unseres Erlösers in unsere Häuser aufnehmen, in unsere Familien, in unsere Gemeinschaften, in unsere Völker. Wir wollen ihrem mütterlichen Blick begegnen. Dieser Blick befreit uns von der Verwaisung; dieser Blick erinnert uns daran, dass wir Brüder und Schwestern sind. Ich gehöre zu dir; du gehörst zu mir. Wir sind keine Waisen, wir haben eine Mutter. Amen.

Bilder: J. Wächter

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