Fatima – ein Weckruf zum Glauben (II. Teil)

Doch wie steht es heute um den Glauben, um unseren christlichen Glauben in Europa, in unserem Land? Es stimmt froh, dass es durch alle Altersschichten hindurch Aufbrüche zu einem Leben aus dem Glauben gibt. Nicht zuletzt der Weltjugendtag 2005 in Köln¹ lässt hoffen, dass die Rede von der „Null-Bock-Generation“ auch in religiöser Hinsicht überholt sein wird und wieder mehr Jugendliche sich für den Glauben interessieren, ihn bekennen und weitergeben werden. Die ist die eine Seite, die Seite der Hoffnung.

Die andere Seite stimmt weniger froh. Bei uns riskiert zwar kein Bürger, seines Glaubens wegen verhaftet oder gefoltert zu werden. Aber es kann einem, der sich z. B. zur Lehre unseres Glaubens über die Ehe öffentlich bekennt, den politischen Posten kosten – ich erinnere an den Fall Rocco Buttiglione. In unserem „christlichen Abendland“ hat sich seit der Aufklärung im 17./18. Jahrhundert etwas grundlegend verändert. Bis dahin war die Welt von Gott her verstanden worden; von dieser Zeit an aber wird zunehmend alles aus materiellen, irdischen Gegebenheiten erklärt. Die Wirklichkeit des christlichen Gottesglaubens wird zu bloßer Humanität, zu allgemeiner Menschenfreundlichkeit verdünnt. Dies soll die einzige Weltreligion werden.

So verwundert es nicht, wenn in unserer Gesellschaft der Stellenwert des Glaubens weithin am Tiefpunkt angelangt ist. Der Glaube ist für viele unwichtig geworden. Sie meinen, auch ohne ihn auskommen zu können. Es hat eine Zeit gegeben, da musste sich der Nichtgläubige wegen seines Unglaubens rechtfertigen; gläubig zu sein galt als selbstverständlich. In unseren Tagen trifft immer mehr das Gegenteil zu. Der Glaubende hat zu beweisen, dass er in die moderne Welt passt, obwohl er glaubt. Man kommt anscheinend auch ohne den christlichen Glauben ganz gut zurecht: „I glaub’ nix, mir fehlt nix!“ Gott hat in der Verfassung Europas keinen Platz mehr. Die Bundesrepublik Deutschland droht zu einem heidnischen Land mit christlichen Restbeständen zu werden. Zentrale Lebensfragen werden nicht mehr an die Kirche als Glaubensinstanz gestellt, sondern an irgendwelche Talkshow-Größen.

Doch der Glaubensschwund und die Glaubensnot treten auch innerhalb der Kirche immer deutlicher zutage. Es gibt fast keine Glaubenswahrheit, die heute nicht in Frage gestellt wird. So ist der Seufzer verständlich: „Man weiß bald nicht mehr, was man glauben soll!“ Die Gefahr eines „Beliebigkeitsglaubens“ nach Art eines religiösen Selbstbedienungsladens steht im Raum: „Ich wähle mir von den Glaubenswahrheiten aus, was mir passt!“ Man mischt sich also selbst einen „Glaubenscocktail“ und bastelt sich einen Glauben zusammen, der das eigene „Wohlfühlen“ zum Inhalt hat. Zudem ist es Mode geworden, sich unsicher zu zeigen, um ja nicht als „Fundamentalist“ gebrandmarkt zu werden. Joseph Kardinal Ratzinger hat dazu am 18. April 2005 in seiner Predigt vor der Papstwahl treffend gesagt: „Es entsteht eine Diktatur des Relativismus, die nichts als endgültig anerkennt und als letztes Maß nur das eigene Ich und seine Gelüste gelten lässt.“²

Angesichts dieser wachsenden Glaubensnot fragen wir uns: Was sollen wir denn tun? In dieser Situation ist es gut, auf jene zu schauen, die wir „Mutter und Hort des Glaubens“, „Mutter und Schwester der Glaubenden“ nennen dürfen: Maria.

Ein Priester, der Russlanddeutsche betreute, wollte einer Frau zeigen, wie man den Rosenkranz betet. Da holte diese ihren Rosenkranz hervor, schaute den Priester fast vorwurfsvoll an und sagte: „Was glauben Sie denn, was uns in den bitteren Jahrzehnten der Gottlosigkeit und Verfolgung geholfen hat, den Glauben zu bewahren, wenn nicht die Gottesmutter und das Gebet zu ihr?“ Ja, diese Frau hielt sich unerschütterlich an das Glaubensvorbild Marias. Die Mutter Jesu wagte die totale Hingabe an Gott; sie hielt ihren rückhaltlosen Glauben durch und harrte im Unbegreiflichen aus bis zuletzt.

Was bedeutet das für uns in dieser nachkonziliaren Zeit? Vielleicht lässt der Herr die gegenwärtige Bedrängnis seiner Kirche zu, damit inmitten der heftigen Stürme eine neue Generation von Gläubigen heranwachse, die – unbeschadet aller Verpflichtung zu äußerer Aktivität – lernt, das Leben der Kirche, ihr „Schicksal“, ihre Zukunft noch bewusster und gläubiger in Gottes Hände zu legen. Gott benutzt unsere „Überforderungen“ und „Zumutungen“ als Material, an dem unser Glaube wächst. Der Herr will unser größeres Ja, unseren größeren Glauben in dieser Zeit.

Was uns deshalb heute abgefordert wird, ist im Grunde das Gleiche wie das, was Maria verwirklicht hat: sich vorbehaltlos, ganz und gar auf Gottes Wort und Willen einzulassen. Dabei denken wir daran, dass der Gottesmutter zwar ein besonderes „Glaubenslicht“ geschenkt war; doch ihr Glaube war nicht so frei von Prüfung und Bewährung, wie wir vielleicht meinen. Wir sehen Marias Glaubensweg vom Ende her, von der Erlösung, von der Auferstehung ihres Sohnes und seiner Erhöhung beim Vater. Von diesem Ende her gesehen sind manche befremdlichen Geschehnisse um Jesus und sogar sein Leiden und Sterben sinnvoll und notwendig. Maria aber sah ihren Weg mit Jesus nicht vom Ende her; sie sah ihn nur Stück für Stück. Gott zeigte ihr immer nur den nächsten Schritt, den sie im Vertrauen Schritt für Schritt gehen musste. Doch dieser ihr starker, in harter Erprobung bewährter Glaube hat Maria befähigt, Mutter aller Glaubenden zu sein, Leitbild und Modell für unser Glaubensleben. Aber wir dürfen von Maria auch wirksamen Beistand für unseren Glauben erwarten. Denn es besteht ein innerer Zusammenhang zwischen Marias Glauben und unserem Glauben – ein Zusammenhang wie zwischen Quelle und Fluss, wie zwischen Mutter und Kind.

Und dieser unser Glaube ist nicht nur für den Privatgebrauch. Er will durch uns Wellen schlagen in den Herzen der Mitmenschen und darin „Lust auf den Glauben“ wecken. Als der Erzengel Gabriel die Jungfrau Maria verlassen hatte, machte sie sich „auf den Weg“ (Lk 1,39) über das Bergland von Judäa zu Zacharias und Elisabeth. Maria bringt Christus dorthin. Sie verkündet Christus, denn Christus in sich tragen, heißt: Christus weitertragen, weitersagen. Ohne zu predigen hat sich Maria damals und ihr ganzes Leben lang eingesetzt, den Glauben an Christus zu verbreiten. Zu Recht nannte deshalb Papst Johannes Paul II. die Gottesmutter „Stern der Glaubensverkündigung“, „Stern der Evangelisierung“.

1 Vgl. Predigten, Ansprachen und Grußworte im Rahmen der Apostolischen Reise von Papst Benedikt XVI. Nach Köln anlässlich des XX. Weltjugendtages vom 18. bis 21. August 2005 (VApS 169), hg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2005.

2 Heilige Messe Pro Eligendo Romano Pontifice. Predigt von Joseph Kardinal Ratzinger, in: Worte zum Anfang. Joseph Kardinal Ratzinger – Papst Benedikt XVI. (Die österreichischen Bischöfe 5), hg. vom Generalsekretariat der Österreichischen Bischofskonferenz, Wien 2005, 51–55, hier 53.

 

Print Friendly, PDF & Email