Magnus

Albertus Magnus hat eine besondere Stellung unter den Heiligen – und in der Kirchenkrise unserer Zeit

Prof. Dr. Sigmund Bonk ist Leiter des Akademischen Forums Albertus Magnus der Diözese Regensburg, Akademikerseelsorger und Schriftleiter des „Bote von Fatima“. Anlässlich des Gedenktags des heiligen Albert (etwa 1200 bis 1280) am 15. November spricht er über dessen Bedeutung und über die Frage, warum und wie sich Seelsorge für katholische Akademiker in den vergangenen Jahren geändert hat bzw. hat ändern müssen.

Die Fragen stellte Prof. Dr. Veit Neumann.

Herr Bonk, welche Bedeutung hat der heilige Albertus Magnus für den Akademiker heute?

Albertus Magnus verbindet Heiligkeit und Kirchlichkeit mit einem großen Ruf als Wissenschaftler und Gelehrter, der ihm völlig zu Recht zukommt. Er ist nicht nur ein Grenzgänger, sondern sein Werk bildet ein ideales Zentrum zwischen Kirche und Universität. Nicht zuletzt aus „seiner“ Domschule in Köln entwickelte sich dort die Universität zwischen Glaube und Vernunft, zwischen Frömmigkeit und Wissenschaft. Ich denke, dass dieser Spagat ein großes Thema gerade auch unserer Zeit ist, nicht nur in Bezug auf unsere christliche Kultur hier in Bayern, sondern sogar weltweit.

Was ist in diesem von Ihnen genannten Sinn „Wissenschaft zwischen Kirche und Universität“?

Für lange Zeit war Wissenschaft, von Platon her gesehen, „theoria“. Das ist etwas, das mit der Kontemplation des Ewigen, des Vollkommenen zu tun hat, das mit dem metaphysischen Bedenken der Urgründe der Wirklichkeit verbunden ist, auch mit der Frage nach dem letzten Sinn und Ziel der Realität. Wissenschaft war immer zuerst oder zumindest zugleich durchsättigt und durchtränkt von großen, auch religiösen Fragen. Mit Francis Bacon und Galileo Galilei ändert sich das. Wissenschaft ist von da an eher etwas Utilitaristisches. Es geht nicht mehr um die intellektuelle Kontemplation der essentiellen Wirklichkeit bzw. der ewigen Wahrheiten, sondern darum, das Leben in dieser Welt, im Diesseits, angenehmer und technisch effizienter zu gestalten. Eschatologie wird innerweltlich verstanden, der so folgenreiche Begriff des Fortschritts erscheint auf der Weltbühne. Wissenschaft bekommt dadurch eine Art dienende Funktion in Bezug auf die Technik, in Bezug auf die Wirtschaft, in Bezug auf die „Einhausung“ des Menschen in diese endliche Wirklichkeit insgesamt. Kurz: Wissenschaft wird hier instrumentell verstanden.

Was würden Sie kirchlich Verantwortlichen raten, um den Impuls aufzugreifen, der von Albertus Magnus ausgeht?

Ich werde schwerlich in die Situation geraten, etwa Bischöfe zu beraten – aber: Der Weg, den ich als den richtigen vermute, sähe so aus, dass man die Erwachsenenbildung, besonders auch die Bildung derjenigen Erwachsenen mit akademischem Hintergrund, intensiv fördert und das ganze Unterfangen in seiner Bedeutung wirklich ernst nimmt. Schnell fällt einem da das Wort „Multiplikatoren“ ein, das mir aber nicht so sehr liegt. Um diesen funktionalen Aspekt geht es freilich auch. Aber es geht vor allem, glaube ich, darum, dass man möglichst vielen Menschen mit Hilfe von Vorträgen, Seminaren, Tagungen, Veröffentlichungen, auch Zeitschriftenartikeln verdeutlicht, dass es alles andere als ausgeschlossen ist, zugleich ein akademischwissenschaftlich orientierter Mensch zu sein und ein Mensch, der fest im Glauben steht. Das war ein großes Thema und es ist auch ein solches von Papst Benedikt XVI. gewesen. Joseph Ratzinger geht in vielen Schriften immer wieder darauf ein, dass das eine (Wissenschaft) das andere (den Glauben) sogar herbei fordert – und umgekehrt, als Ausgleich, als Inspirationsquelle, nicht zuletzt auch als Grenze für „Machbarkeiten“.

Bereits in der Vergangenheit gab es Institutionen zur Verdeutlichung dieses Verhältnisses von Glaube und Wissen: die Akademikerseelsorge, Vereine und Verbände auf verschiedenen Ebenen. Wo hat es denn da einen Bruch gegeben?

Was sich lange angekündigt hatte und was doch immer auf eine überschaubare Anzahl von Intellektuellen beschränkt blieb, ein gewisser latenter, zum Teil sogar offensiver, in Einzelfällen radikalisierter und aggressiver Atheismus, was also in der Aufklärung des 18. Jahrhunderts nur wenige für sich beanspruchten, derartig starke Geister („ésprits forts“) zu sein, dass sie ohne den Gedanken an Gott und ohne den an ein Dasein nach dem Tode recht gut leben könnten, das ist jetzt zu einem Massenphänomen geworden. Das ließe sich historisch auch in der jüngsten Vergangenheit leicht festmachen. Der große Aufbruch des „Zweiten Vatikanum“ wurde durch die unmittelbar darauf folgenden Jahre konterkariert; Jahre, die man mit dem Schlüsseljahr 1968 zu bezeichnen pflegt. Was also noch kurz vorher, von 1963 bis 1965, sehr hoffnungsvoll begann – ein neuer Frühling in der Kirche –, wurde überlärmt und an die Seite gedrängt als eine viel zu unbedeutende Reform, die langweile. Es hieß, wir bräuchten nicht eine erneuerte Kirche, sondern überhaupt eine neue Gesellschaft. Man meinte, man sollte Revolution machen und nicht Reförmchen. Es gibt eine gewisse Selbstverständlichkeit, die etwa Hegel und Stifter herausgestellt haben; das Herkommen, die Sittlichkeit, das respektvolle Verbundensein miteinander – Stifter nennt diese Realität das „stille Gesetz“. Dieses „Gesetz“ ist in Mitleidenschaft gezogen worden.

Können Sie ein Beispiel geben für das, was unter einem solchen Gesetz zu verstehen ist?

Dass mit Selbstverständlichkeit einige Dinge getan und andere Handlungen unterlassen werden, dass dies zum Menschlichen, zum „humanum“ insgesamt gehört – dass man sich etwa Kindern, Alten, Schwachen, gesellschaftlich etwas „tiefer“ Stehenden auf eine anständige und liebenswürdige Weise verhält, dass man nicht nur für sich das Auskommen, das Glück und die Lust sucht, sondern im Verein mit anderen sich um das Gute des Ganzen bemüht, eingebunden in einen Strom der Generationen, auf die Nächsten und die uns Folgenden schaut, auch seinen Vorfahren, Vätern ja, Gott dankt und dabei ein gewisses Ethos bzw. die vorhin angesprochenen Grenzen unbedingt und ausnahmslos aufrecht erhält.

Aber was ist damit nun geschehen?

Dergleichen ist stark in Frage gestellt worden, wobei „die 68er“ selbst noch oft von ihren Müttern und Vätern her einen bestimmten Impuls in diese richtige und wertvolle Richtung mitbekommen hatten, den sie aber nicht oder nur unvollkommen an die neue Generation weitergaben, sodass hier tatsächlich ein großer Bruch stattgefunden hat und weiter stattfindet. Es gibt heute sehr viel Hass auf das Herkommen, tradierte Werte und Strukturen wie die klassische Familie und auch auf die christliche Religion.

… der sich auch auf die Akademikerseelsorge auswirkte?

Auf alle Fälle. In der 68er-Zeit ist sehr viel ins Rutschen, Wanken und Schlittern gekommen. Manches davon war tatsächlich einfach „fällig“, aber vieles und bedeutsames fehlt uns heute. Bewegung in diese Richtung gab es zuvor durchaus, durch die Renaissance, die Aufklärung im 18. Jahrhundert oder etwa durch die Oktoberrevolution in Russland. Lange vor „68“ hatte dieses nun zu verschwinden drohende hohe Gut, „das stille Gesetz“, so etwas wie „Sprünge“ bekommen. Aber es hielt dennoch stand. Es ist so wie beim Eis, das, bevor der Gletscher kalbt, lange zuvor gewisse Risse zeigt. Irgendwann jedoch kommt der Eisberg aber ganz massiv und im Großen zum Rutschen und Stürzen. Einer solchen massiven Bewegung entgegen zu steuern ist sehr schwer. Auch die Akademikerseelsorge muss daraus ihre Konsequenzen ziehen und sich behutsam an den Zeitgeist annähern, ohne freilich das substantiell Christliche aufzugeben.

Was kann diese Situation, in der wir jetzt sind, für die Kirche bedeuten?

In seinem Buch „Zarathustra“ hat Nietzsche den Menschen unserer Zeit, der seit den 1968er-Jahren dominierte, den „letzten Menschen“ genannt: Er ist stets etwas müde, ohne längere Leidenschaft, er toleriert, er akzeptiert fast alles, er hat „sein Plaisir für die Nacht, sein Lüstchen für den Tag“. Das erscheint ihm als völlig ausreichend. Er lebt ohne großen Einsatz für Ideale, auch ohne allzu großen intellektuellen Anspruch vor sich hin. Er geht seiner Erwerbstätigkeit nach und will ansonsten seine Ruhe haben, kümmert sich auch kaum um die „Nächsten“. Der allgemein akzeptierte Relativismus macht ihn indifferent, vielem gegenüber gleichgültig. Die Bekämpfung des Leids überlässt er den Ärzten und den Sozialstationen. Eine Zeit lang geht das auch gut. Aber ein solches „Leben light“ erfüllt den Menschen nicht wirklich und auch nicht auf lange Zeit. Im Menschen steckt ja ein göttlicher Funke! Er ist Gottes Bild und Gleichnis – dauerhaft, bleibend, unvergänglich. Auf diese anthropologische Konstante sollten wir als Kirche setzen. Die Kirche als der Leib Christi wird eines Tages wieder auferstehen. An dieser Hoffnung muss die Kirche eisern festhalten.

Bild: Diakon Dr. Sigmund Bonk assistiert Bischof Dr. Rudolf Voderholzer in St. Kassian Regensburg.
Bildquelle: Presse- und Medienreferat des Bistms Regensburg

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